Freitag, 29. Juli 2016

Dialogannahme... Eindrücke aus der Unfall-Ambulanz an einem Samstag

AKH, Unfallambulanz, Samstag 21. Mai, 1/2 11 bis 1/2 3 (ein paar Eindrücke)

Mehrere Reihen zu je 4 Plastikstühlen, die - in einiger Entfernung - einander gegenüber stehen. Ein kleines Mädchen mit ihrer Mutter sitzt dort. Sie hat keine sichtbare Verletzung, ist vielleicht 8 Jahre alt und weint die meiste Zeit. Die Mutter versucht sie zu beruhigen. Trotzdem müssen sie immer wieder in der Behinderten-Toilette verschwinden, weil die Kleine so über Bauchweh klagt, wenn sie nicht gerade, mit den Zähnen klappernd, mühsam um Fassung ringt. Eintreffen: Vater & große Schwester.

Neben mir sitzt eine rundliche junge Frau, die mit jeder Pore "angefressen" wirkt. Ihre Hand ist geschient und sie spricht durch zusammen gebissene Zähne über die "Warterei". Als ich mit ihr ins Gespräch komme, erklärt sie mir, von einem Schäferhund gebissen worden zu sein. Sie sei dazwischen  gegangen - weil ihr Hund keine anderen Hunde mag... die anderen Hundebesitzer würden das halt leider nicht glauben. Ihrer sei ein Pitbull-Weibchen und "habe angefangen". Nun müsse sie alle zwei Tage hierher zum Verbandwechseln.

Ich bitte sie, kurz auf meine Taschen Acht zu geben - während ich mir am WC Gesicht & Haare von Straßenschmutz, Kaffee und Blut reinige.

Als ich später mit den Eltern gegenüber ins Gespräch komme - das Kind habe sich einen langen Speil aus der Hausfassade in den Finger eingezogen... da schaltet sich meine Sitznachbarin ein und rät der Kleinen, "sie möge aufhören zu weinen, DAS helfe gegen das Bauchweh!" Diesmal gehe ich - sanft - dazwischen und gebe dem Gespräch eine mitfühlendere Richtung.

Dazwischen beginnt ein alter Mann nebenan hinter der Glasscheibe, wo die wartenden PatientInnen in Roll-Betten stehen, laut zu protestieren. Er ist offenbar bereits bekannt vor Ort - sein Verhalten auch. Die Angestellten nehmen ihn gelassen - während der Rest der Wartenden zum Teil recht furchtsam schaut.
Etwas später hat einer der Pfleger zum Glück geistesgegenwärtig mitbekommen, dass der Mann inzwischen dringend auf die Toilette mußte - und schiebt sein Bett zur Behindertentoilette. Erleichtertes Murmeln des Patienten.

Ich kann dem kleinen Mädchen erzählen, dass im Untersuchungszimmer wirklich ur-nette Männer arbeiten (interessanter Weise saß sogar am Bildschirm, tippend, ein junger Mann). Das hat sie offenbar ein wenig beruhigt. Ich seh sie später lachend aus dem Wartezimmer fort laufen.

Wieso ein älterer Mann, mitten unter all den Leuten, unbekleidet, nur mit einer teils-durchsichtigen Plastikplane zugedeckt warten muss, ist mir schleierhaft. Wird das Schamgefühl von Menschen an einem Ort wie diesem unwichtig?
Wichtiger ist wahrscheinlich, dass die Menschen hier wirklich gute Arbeit leisten. Wie viele Verletzte, so ein Wochenend.tag in einer Großstadt wie Wien anschwemmt, ist beeindruckend.

Eine junge Frau mit zwei kurz geschorenen Kindern kommt. Der Bub nimmt gleich mit mir Verbindung auf und zeigt mir, wo sein Hals und sein Fingerchen weh tun... Sein Papa meint, er könne nur Serbisch - sie sprächen Serbisch und Rumänisch mit den Kindern, damit sie ihre Sprachen erst einmal erlernen. Das noch kleinere Schwesterchen sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, ganz entspannt.

Als ich hinein gerufen werde, sage ich "Do vidjena" zu meinem kleinen Freund, und er steht da, winkt mit seinem ganzen Zwuggi-Körper fröhlich mir zum Abschied, und ruft dabei "Do vidjena!!"

Was diese paar Worte, die ich als Kind in Ex-Jugoslawien gelernt habe, doch hier an süßer Ernte gebracht haben! :-)