Sonntag, 14. Mai 2017

"Muttertag"... Sie fehlt mir

Herlinde Häusler (1927 - 2003) mit Enkelin Anna









 Als meine Mutter 2003 bei einem Verkehrsunfall gestorben  ist, habe ich diese Rede für ihre Beerdigung verfasst.

 Ich wollte ein mitfühlendes Bild von ihr damit malen...

  ... und will dieses heute, zum Muttertag, mit dir teilen. Vielleicht findest du etwas von deinen Gefühlen oder  Bildern darin wieder?

 


Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Verwandte!

Wir alle sind heute hier, um Herlinde „die letzte Ehre zu erweisen“
und uns von ihrem physischen Körper zu verabschieden.

Mein Name ist Sylvia und ich bin ihre Tochter.
Von meinem ersten Atemzug an war sie in meiner Nähe. Sie ist der Mensch,
mit dem ich die meiste Zeit meines bisherigen Lebens geteilt habe.
Unsere Verbindung war so prägend und tief, dass ich sicherlich nicht die
geworden wäre, die ich heute bin – ohne sie.

Ich habe sie immer verstehen wollen: ihre Geschichte, ihre Gegenwart
und war immer neugierig darauf, wohin sie sich noch entwickeln und
welche Wege sie noch einschlagen würde.
Denn wenn meine Mutter etwas nicht war, dann war das „vorhersagbar“.

Sie war eine reiche Frau. Reich an Begabungen und Intelligenz. Reich
an Gefühlen und reich an Kraft. Reich an Wissen und Intuition.

Wie ist sie geworden? Kriegsgeneration: Bombenalarm, Detonationen, die
Erde erzittert unter einstürzenden Häusern... sehr viel Angst und Trauer und
Mangel an Essen und fast allem, was einem Kind das Leben schön macht.
Der eigenen Mutter nicht willkommen, duckt sie sich vor dem Zerstörtwerden
und wird eine ganz besonders brave und sich bemühende Kleine.
Die Angst klingt wie ein Pfeifton, eine Trillerpfeife... schwer zu ertragen.

Als wir noch Kinder waren, habe ich sie ständig laufen gesehen. Sie trug
immer lange Listen mit sich herum, was noch zu erledigen war,
die sie Punkt für Punkt hinunter gearbeitet hat – jeder Strich ein Weg,
eine Handlung, ein Gespräch. Mit ihrem Mann die Ordination aufgebaut,
Ordinationshilfe, Buchhalterin, Mutter. Sie wollte uns eine intakte Familie
bieten und eine gute Ausbildung, wir sollten nie an Mangel leiden.
Der Druck klang wie eine Trommel, die mit BummBummBumm das Tempo macht.

Sie kümmerte sich um alles, und hat nicht einmal beim Essen abgeschaltet.
Da wurde mit meinem Vater, ganz in Kürze, besprochen, was es an Neuem
rund um ihre Kreise gab – mehr Unglück als Glück, das war zu entnehmen.
Karzinome klangen bedrohlich und die Probleme der Welt machten
mir Angst.

Dann war da aber auch ihre wunderschöne Stimme, die mir Bücher vorlas und
Lieder vorgesungen hat.
Das klang wie eine warme, mütterliche Alt-Stimme, die Geborgenheit gibt.

Was mich geprägt hat, war ihre Menschenfreundlichkeit. Sie spürte, wen
sie vor sich hatte und kam überall direkt und herzlich ins Gespräch.
Man erzählte ihr gerne und hörte ihr gerne zu. Sie half gerne und
die Umgebung freute sich, auch ihr zu helfen.
Wenn sie jemandem helfen wollte, hat sie auch kämpfen können – sie
hatte dann keine Angst vor Konsequenzen... da erscholl die Trompete.

Viel zu selten haben wir Tränen gelacht miteinander. Dass sie das Leben
geliebt hat, wusste ich trotzdem. Sie konnte Feste feiern und liebte
Kosmetik. Der Duft ihrer Haare – ich lernte sie als Kind auf Lockenwickler
drehen – und die Seidenweiche ihrer Haut... - sie zeigte mir,
wie man „wie mit Schmetterlingsflügeln“ Crème um die Augen legt...:
Ein weiblich kultivierter Harfenklang - ließ mich in Staunen gebannt sein.

Dann kamen die Jahre der tiefen Traurigkeit. Der Körper hörte auf zu
Rennen. Sie wurde von den Wellen tiefen Leids erfüllt... kein noch so
wohl überlegter Gedanke, kein Angebot konnte sie trösten.
Da war Unter-Wasser-Stille, Dunkelheit und Warten: dass die Freude
wieder kehrt.

Dann kamen Anna & Sofie, zwei fröhliche kleine Piccoloflöten klangen
in ihr wieder. Dazu eine warme und mütterliche Alt-Stimme, die die
Welt erklärt und tröstet. Ein fürsorglich-männliches Waldhorn...
eine gute Umgebung, um das Warten zu erleichtern.
Und die langjährigen treuen Freundschaften. Das Telefon als
Nabelschnur: „Wenn wir uns schon nicht sehen können, dann wenigstens...“
Sie hat diese gepflegt und wusste um ihren Wert – die vielen Jahre
Freud und Leid geteilt: Ein viel-stimmiger Chor.

Wer sie gekannt hat weiß auch, wie wichtig ihr der Glaube war. Sie war,
außer wenn sie daran gehindert wurde, regelmäßig in der Kirche.
Sie hat andere Menschen in ihr Gebet mit eingeschlossen und ich bin
sicher, dass sie mit einigen Heiligen eng befreundet war. Der Heilige
Antonius war so ein spezieller Freund – er half ihr Verlorenes wieder
zu finden. Und die Heilige Maria hat sie – unter leid-geprüften Müttern –
sicherlich öfters um Hilfe gebeten.

Liebe Linde, Du warst meine Mutter und was uns jetzt noch verbindet,
ist die Liebe und viele viele irdische Erinnerungen. Wir wollen Dir
Adieu sagen und Deine Seele heimkehren lassen: in das göttliche Licht.

Amen (h: "So sei es").

Dieser Blog-Post ist sehr persönlich und rührt an das Tabu des Todes, in unserer Gesellschaft. Weil dieses Tabu jedoch so viele Menschen mit ihrer Trauer alleine lässt und "ohne Worte", möchte ich damit zeigen, wie wichtig es ist, schon zu Lebzeiten die Verbindung zu einander zu bewahren und zu pflegen... Denn: Die Liebe bleibt... und wir leben traurig mit ihr weiter ♥

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