„Weißt Du,
was ein „Schlusslicht“ ist?“, fragte mich die Unke.
„Ja, klar!
Das ist der oder die, die bei Wanderungen als letztes gehen – und aufpassen,
dass niemand verloren geht.“
„Wieso ist
das wichtig?“, wollte ich wissen.
„Weil ich
jetzt weiß, was ich hier tue“, sagte die Unke.
Es wurde ein
längeres Gespräch, wie meist mit der Unke. Unken sind Wesen, die wenig schlafen. Sie träumen meist schlecht, weil sie die Welt von schräg unten betrachten.
Von dort, wo der Sumpf beginnt und das Licht nicht so hinkommt.
Die Unke
hat längere Zeit ihre Vision gesucht. Das war manchmal schon schwer zu ertragen.
„Weißt Du,
ich hab immer an dieses Bild von den Zugvogel-Schwärmen gedacht. Da
ist eine vorne und hat den größten Luftwiderstand und die anderen fliegen in
V-Form dahinter und quaken ihr Mut zu.“ – „Ein weit verbreitetes
Bild, heutzutage“, meinte ich.
„Und wenn Du
nach einer Idee suchst, mit der Du da vorne fliegen kannst, die so gut ist,
dass alle anderen hinter Dir herfliegen und Dich sogar noch ermutigen, dann
kannst Du ganz schön ins Grübeln kommen.“
Jeden Falls ist
die Unke eines nächtlichen Morgens wach gewesen und hat überlegt, was sie denn
eigentlich und schon die ganze Zeit über gemacht hat. Und da ist ihr das mit
dem Schlusslicht eingefallen.
„Ich schau
auf die, die nicht mehr mitkommen. Auf die, die fast auseinander brechen. Auf
die still Verzweifelten, die fast den Verstand verlieren... und irgendwie ist
Unke-sein auch sehr hilfreich dabei. Weil ich von dort her schaue: Wo alle
Angst haben, zu versinken und abzusaufen. Wo es finster ist und auch modrig. Da
kommt kein Scheinwerfer hin. Da hat es sich aus-geschämt, weil da braucht keinesmehr
fürchten, dass es sich angepatzt hat oder dreckig wird. Und hinfallen kannst Du auch nicht.“
Okay, ich
hab eine Unke zur Freundin. Und weil das so ist, hab ich gesagt, „Unke, ich hör
Dir gerne zu. Du hast sicher viel zu erzählen.“
„....Weißt Du,
ich bin auch auf facebook“- auch Unken gehen mit der Zeit, sonst finden sie
ihre Leute ja nimmer. "Und vor einiger Zeit habe ich plötzlich dort einen
NACHRUF gelesen. Da hat sich jemand an jemand erinnert – mit irgendeinem
passenden Bild dazu. Und später haben zwei Bekannte auch mit so Engelssprüchen
und stimmungsvollen Bildern geschrieben, dass sie traurig sind... und immer hab
ich gerätselt, um WEN die da trauern? Und plötzlich kommst Du Menschen ur nahe,
die Du kaum kennst.
Und vor
kurzem schrieb eine, dass sie vor Schmerzen grad weint und nicht sitzen kann... das ist eine ganz eine Fleissige, die nie in Krankenstand geht und immer
weiter gearbeitet hat. Und jetzt hat sie gleich mehrere Bandscheibenvorfälle
gleichzeitig... was schreibt man so
jemandem?
Die ist dann
wieder verschwunden, mitten im Chat... und das MIR! Wo ich doch das Schlusslicht bin!"
"Aha."
"Und andere
haben Babies bekommen und jetzt weiß ich, wie die ausschauen... und dass einem
ins Auto eingebrochen worden ist, und er wütend-verzweifelt.. und andere auf
Urlaub fahren oder schon sind: Bilder von Stränden, wo andere schreiben: „Ich
beneide Dich“ oder „Genieß es!“
Stell Dir
vor: viele fotografieren ihr ESSEN und stellen das rein. Und dann schreiben die
andern, dass sie was für sie aufheben sollen... oder „Mahlzeit“.
Wieso kommt das
als Einsamkeit bei mir an? Wieso denk ich dabei, dass „Teilen“ immer schon von
Hand zu Hand und von Mensch zu Mensch, was Direktes, Gefühlvolles, Warmes war –
und jetzt tippen die was in die Tasten und haben keine Zeit mehr, einander
besuchen zu kommen! Ein paar Taschentücher rüber zu geben, eine Schulter
beweint zu bekommen... oder gehalten zu werden, bis es halbwegs erträglich
wird.
Verstehst Du
jetzt, wieso ich nicht schlafen kann?...“
Jetzt bin
ich das Schlusslicht für die Unke.
Es ist mir eine
Ehre.
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