Donnerstag, 18. Mai 2017

Geheimnisvolle Menschen # 1



Unlängst, auf einer ausgedehnten Spazier.runde, weiter oben bei den Gemeindebauten, sprach uns eine Frau an. Sie fragte mich, ob ich öfter hier entlang käme... und holte dann dieses kleine Täschchen hervor, mit der Frage, ob ich es vielleicht brauchen könne?... Ihr Hund sei vor einem halben Jahr gestorben.
Vorsichtiges Nachfragen... ausloten: Ob sie drüber schon ein bisschen hinweg ist?... Da erzählte sie mir, sie habe gleichzeitig ihr altes krankes Pferd und ihren alten kranken Hund gepflegt, und "schon wie eine Nonne gelebt"... Nun sei auch wieder einmal "eine Zeit ohne Tiere" dran.
Da nahm ich es dankbar entgegen... und wünschte ihr im Verabschieden noch "Schönes Wiederauftanken im Fetten Leben" (Was sagte ich da?!).
Ihr Lächeln strahlte mir aus dem Kranz ihrer goldigen Löckchen entgegen. Und sie verschwand :-)

Sonntag, 14. Mai 2017

"Muttertag"... Sie fehlt mir

Herlinde Häusler (1927 - 2003) mit Enkelin Anna









 Als meine Mutter 2003 bei einem Verkehrsunfall gestorben  ist, habe ich diese Rede für ihre Beerdigung verfasst.

 Ich wollte ein mitfühlendes Bild von ihr damit malen...

  ... und will dieses heute, zum Muttertag, mit dir teilen. Vielleicht findest du etwas von deinen Gefühlen oder  Bildern darin wieder?

 


Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Verwandte!

Wir alle sind heute hier, um Herlinde „die letzte Ehre zu erweisen“
und uns von ihrem physischen Körper zu verabschieden.

Mein Name ist Sylvia und ich bin ihre Tochter.
Von meinem ersten Atemzug an war sie in meiner Nähe. Sie ist der Mensch,
mit dem ich die meiste Zeit meines bisherigen Lebens geteilt habe.
Unsere Verbindung war so prägend und tief, dass ich sicherlich nicht die
geworden wäre, die ich heute bin – ohne sie.

Ich habe sie immer verstehen wollen: ihre Geschichte, ihre Gegenwart
und war immer neugierig darauf, wohin sie sich noch entwickeln und
welche Wege sie noch einschlagen würde.
Denn wenn meine Mutter etwas nicht war, dann war das „vorhersagbar“.

Sie war eine reiche Frau. Reich an Begabungen und Intelligenz. Reich
an Gefühlen und reich an Kraft. Reich an Wissen und Intuition.

Wie ist sie geworden? Kriegsgeneration: Bombenalarm, Detonationen, die
Erde erzittert unter einstürzenden Häusern... sehr viel Angst und Trauer und
Mangel an Essen und fast allem, was einem Kind das Leben schön macht.
Der eigenen Mutter nicht willkommen, duckt sie sich vor dem Zerstörtwerden
und wird eine ganz besonders brave und sich bemühende Kleine.
Die Angst klingt wie ein Pfeifton, eine Trillerpfeife... schwer zu ertragen.

Als wir noch Kinder waren, habe ich sie ständig laufen gesehen. Sie trug
immer lange Listen mit sich herum, was noch zu erledigen war,
die sie Punkt für Punkt hinunter gearbeitet hat – jeder Strich ein Weg,
eine Handlung, ein Gespräch. Mit ihrem Mann die Ordination aufgebaut,
Ordinationshilfe, Buchhalterin, Mutter. Sie wollte uns eine intakte Familie
bieten und eine gute Ausbildung, wir sollten nie an Mangel leiden.
Der Druck klang wie eine Trommel, die mit BummBummBumm das Tempo macht.

Sie kümmerte sich um alles, und hat nicht einmal beim Essen abgeschaltet.
Da wurde mit meinem Vater, ganz in Kürze, besprochen, was es an Neuem
rund um ihre Kreise gab – mehr Unglück als Glück, das war zu entnehmen.
Karzinome klangen bedrohlich und die Probleme der Welt machten
mir Angst.

Dann war da aber auch ihre wunderschöne Stimme, die mir Bücher vorlas und
Lieder vorgesungen hat.
Das klang wie eine warme, mütterliche Alt-Stimme, die Geborgenheit gibt.

Was mich geprägt hat, war ihre Menschenfreundlichkeit. Sie spürte, wen
sie vor sich hatte und kam überall direkt und herzlich ins Gespräch.
Man erzählte ihr gerne und hörte ihr gerne zu. Sie half gerne und
die Umgebung freute sich, auch ihr zu helfen.
Wenn sie jemandem helfen wollte, hat sie auch kämpfen können – sie
hatte dann keine Angst vor Konsequenzen... da erscholl die Trompete.

Viel zu selten haben wir Tränen gelacht miteinander. Dass sie das Leben
geliebt hat, wusste ich trotzdem. Sie konnte Feste feiern und liebte
Kosmetik. Der Duft ihrer Haare – ich lernte sie als Kind auf Lockenwickler
drehen – und die Seidenweiche ihrer Haut... - sie zeigte mir,
wie man „wie mit Schmetterlingsflügeln“ Crème um die Augen legt...:
Ein weiblich kultivierter Harfenklang - ließ mich in Staunen gebannt sein.

Dann kamen die Jahre der tiefen Traurigkeit. Der Körper hörte auf zu
Rennen. Sie wurde von den Wellen tiefen Leids erfüllt... kein noch so
wohl überlegter Gedanke, kein Angebot konnte sie trösten.
Da war Unter-Wasser-Stille, Dunkelheit und Warten: dass die Freude
wieder kehrt.

Dann kamen Anna & Sofie, zwei fröhliche kleine Piccoloflöten klangen
in ihr wieder. Dazu eine warme und mütterliche Alt-Stimme, die die
Welt erklärt und tröstet. Ein fürsorglich-männliches Waldhorn...
eine gute Umgebung, um das Warten zu erleichtern.
Und die langjährigen treuen Freundschaften. Das Telefon als
Nabelschnur: „Wenn wir uns schon nicht sehen können, dann wenigstens...“
Sie hat diese gepflegt und wusste um ihren Wert – die vielen Jahre
Freud und Leid geteilt: Ein viel-stimmiger Chor.

Wer sie gekannt hat weiß auch, wie wichtig ihr der Glaube war. Sie war,
außer wenn sie daran gehindert wurde, regelmäßig in der Kirche.
Sie hat andere Menschen in ihr Gebet mit eingeschlossen und ich bin
sicher, dass sie mit einigen Heiligen eng befreundet war. Der Heilige
Antonius war so ein spezieller Freund – er half ihr Verlorenes wieder
zu finden. Und die Heilige Maria hat sie – unter leid-geprüften Müttern –
sicherlich öfters um Hilfe gebeten.

Liebe Linde, Du warst meine Mutter und was uns jetzt noch verbindet,
ist die Liebe und viele viele irdische Erinnerungen. Wir wollen Dir
Adieu sagen und Deine Seele heimkehren lassen: in das göttliche Licht.

Amen (h: "So sei es").

Dieser Blog-Post ist sehr persönlich und rührt an das Tabu des Todes, in unserer Gesellschaft. Weil dieses Tabu jedoch so viele Menschen mit ihrer Trauer alleine lässt und "ohne Worte", möchte ich damit zeigen, wie wichtig es ist, schon zu Lebzeiten die Verbindung zu einander zu bewahren und zu pflegen... Denn: Die Liebe bleibt... und wir leben traurig mit ihr weiter ♥

Freitag, 29. Juli 2016

Dialogannahme... Eindrücke aus der Unfall-Ambulanz an einem Samstag

AKH, Unfallambulanz, Samstag 21. Mai, 1/2 11 bis 1/2 3 (ein paar Eindrücke)

Mehrere Reihen zu je 4 Plastikstühlen, die - in einiger Entfernung - einander gegenüber stehen. Ein kleines Mädchen mit ihrer Mutter sitzt dort. Sie hat keine sichtbare Verletzung, ist vielleicht 8 Jahre alt und weint die meiste Zeit. Die Mutter versucht sie zu beruhigen. Trotzdem müssen sie immer wieder in der Behinderten-Toilette verschwinden, weil die Kleine so über Bauchweh klagt, wenn sie nicht gerade, mit den Zähnen klappernd, mühsam um Fassung ringt. Eintreffen: Vater & große Schwester.

Neben mir sitzt eine rundliche junge Frau, die mit jeder Pore "angefressen" wirkt. Ihre Hand ist geschient und sie spricht durch zusammen gebissene Zähne über die "Warterei". Als ich mit ihr ins Gespräch komme, erklärt sie mir, von einem Schäferhund gebissen worden zu sein. Sie sei dazwischen  gegangen - weil ihr Hund keine anderen Hunde mag... die anderen Hundebesitzer würden das halt leider nicht glauben. Ihrer sei ein Pitbull-Weibchen und "habe angefangen". Nun müsse sie alle zwei Tage hierher zum Verbandwechseln.

Ich bitte sie, kurz auf meine Taschen Acht zu geben - während ich mir am WC Gesicht & Haare von Straßenschmutz, Kaffee und Blut reinige.

Als ich später mit den Eltern gegenüber ins Gespräch komme - das Kind habe sich einen langen Speil aus der Hausfassade in den Finger eingezogen... da schaltet sich meine Sitznachbarin ein und rät der Kleinen, "sie möge aufhören zu weinen, DAS helfe gegen das Bauchweh!" Diesmal gehe ich - sanft - dazwischen und gebe dem Gespräch eine mitfühlendere Richtung.

Dazwischen beginnt ein alter Mann nebenan hinter der Glasscheibe, wo die wartenden PatientInnen in Roll-Betten stehen, laut zu protestieren. Er ist offenbar bereits bekannt vor Ort - sein Verhalten auch. Die Angestellten nehmen ihn gelassen - während der Rest der Wartenden zum Teil recht furchtsam schaut.
Etwas später hat einer der Pfleger zum Glück geistesgegenwärtig mitbekommen, dass der Mann inzwischen dringend auf die Toilette mußte - und schiebt sein Bett zur Behindertentoilette. Erleichtertes Murmeln des Patienten.

Ich kann dem kleinen Mädchen erzählen, dass im Untersuchungszimmer wirklich ur-nette Männer arbeiten (interessanter Weise saß sogar am Bildschirm, tippend, ein junger Mann). Das hat sie offenbar ein wenig beruhigt. Ich seh sie später lachend aus dem Wartezimmer fort laufen.

Wieso ein älterer Mann, mitten unter all den Leuten, unbekleidet, nur mit einer teils-durchsichtigen Plastikplane zugedeckt warten muss, ist mir schleierhaft. Wird das Schamgefühl von Menschen an einem Ort wie diesem unwichtig?
Wichtiger ist wahrscheinlich, dass die Menschen hier wirklich gute Arbeit leisten. Wie viele Verletzte, so ein Wochenend.tag in einer Großstadt wie Wien anschwemmt, ist beeindruckend.

Eine junge Frau mit zwei kurz geschorenen Kindern kommt. Der Bub nimmt gleich mit mir Verbindung auf und zeigt mir, wo sein Hals und sein Fingerchen weh tun... Sein Papa meint, er könne nur Serbisch - sie sprächen Serbisch und Rumänisch mit den Kindern, damit sie ihre Sprachen erst einmal erlernen. Das noch kleinere Schwesterchen sitzt auf dem Schoß seiner Mutter, ganz entspannt.

Als ich hinein gerufen werde, sage ich "Do vidjena" zu meinem kleinen Freund, und er steht da, winkt mit seinem ganzen Zwuggi-Körper fröhlich mir zum Abschied, und ruft dabei "Do vidjena!!"

Was diese paar Worte, die ich als Kind in Ex-Jugoslawien gelernt habe, doch hier an süßer Ernte gebracht haben! :-)

Dienstag, 3. Mai 2016

ROT und GOLD. Was ist schön an der Wut?



Meine Wut wohnt in meiner inneren Großmutter. Oder sie kratzt meine Augen aus, bis ich überall Teufel sehe.
Bange bange wird es mir, vor mir selbst.
Irisierende Wut und haltloser Zorn kosten mich das Leben.
Mein Gesicht wird zu einer Maske, die von innen hält.
Während ich nach gescheiten Ideen und Handlungen suche, tobt sie ganz blöde und haut alles kurz und klein, will nichts sehen, noch hören, noch wissen.
Brüllen will sie, die Wut. Einen schönen hellen Raum in mir freibrüllen.
Dort drin ist dann „das Auge des Zyklons“, in dem meine Stille und mein wieder-Weichsein daheim sind.
Kleine Kätzlein und Lämmlein und Hundilein und wollige Wesen werden mir auch nicht helfen, selbst wieder klein und lieb zu werden.
Weil ich wütend geboren und wütend genährt und geholt und verlassen und eine Ahnin der Wut bin, eingesperrt in eine Gouvernante, die nicht ums Verrecken von ihrem Hohen Ross runter steigen will.
Sie sorgt noch für Ruhe und Ordnung, wenn nichts mehr ruhig oder ordentlich sein kann. Was heißt „sorgt“? Sie zwingt und ringt nieder, schreit „Papperlapapp“ und lacht höhnisch… oder dreht mein Gesicht immer wieder Richtung „Mann“, wenn ich grad meine Hände in die Schuhschachtel mit meinen kleinen Vampiren versenkt habe…
Die Großmutter setzt mir eine Wollmütze auf, die katzt und beisst, aber gesund ist.
Und erzählt mir von gefährlichen Krankheiten und bösen Männern, wenn ich verreisen möchte.

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Ich freue mich über Bemerkungen & eigene Erfahrungen, Gefühle & sonstiges dazu :-)

Samstag, 30. Januar 2016

Eine Begegnung im Park... Erdmännchen?

(c) Erdmännchen von Daija_www.liebevollerleben.com
Als ich heute an der Kreuzung stand, erblickte ich drüben, ein Stück innerhalb der Wiese, einen Hund mit Herrl. Plötzlich setzte sich der Hund auf die Hinterbeine und hob seine Vorderpfoten... wie ein Erdmännchen! Ich schaute fasziniert auf dieses "Kunststück" und versuchte es zu verstehen: Was machte dieser Hund da? Und warum?

Und während ich noch einen Moment lang rätselte, sah ich den Mann den ganzen Hund schultern - und davongehen. SCHULTERN, wirklich! Er trug ihn etliche Meter, in die Mitte des Parks und setzte ihn dort wieder ab.

Ich beschloss, auf die beiden zuzugehen. Und während ich den Mann aus ein paar Metern Distanz ansprach, humpelte der Hund überaus freundlich auf mich zu und hielt sich mit seinen Vorderbeinen an meiner Jacke fest... seine hellen strahlenden Augen und sein liebes Gesicht wollten gestreichelt werden. Der Mann erzählte mir in knappen Worten, dass sein eines Bein von Geburt an gelähmt gewesen sei und das andere bei einem Verkehrsunfall mehrfach gebrochen... er habe ihn aus dem Tierschutzhaus... Nein, Schmerzen habe er keine...

Die Jacke des Mannes war schmutzig von den Hundepfoten und vorne mit seinen Haaren bedeckt. Im Streicheln versuchte ich Worte zu finden, die der Verbindung dieser zwei Wesen - der Kleinere froh umherschnuppernd, der größere verlegen zu Boden schauend - wie sie in mir wiederklangen, entsprachen. Ich war sprachlos - und sagte irgendetwas, das seine und meine aufkommende Verlegenheit befrieden sollte...

Wenn ich jetzt daran denke, dann wäre das einzig Wahre: "Ich habe euch erblickt. Und bin SO froh und dankbar darüber, dass es euch gibt :-)"

(erlebt & aufgeschrieben am 28. Jänner d. J.)